Zu viele Gesetze





Ein arbeitsreicher Tag liegt hinter mir. Ich will nur noch für einen Rechtsstreit die neue Version des Betriebsaltersversorgungsgesetzes runterladen und dann Feierabend machen.

Wie ich so im Netz forsche, meldet sich der kleine Quälgeist und meint mit einem schnippischen Blick auf meinen Browser:"Reicht denn dieses riesige Monster an Gesetzen nicht, das Sie da auf dem Tisch haben?"

"Nein" entgegne ich kurz, weil ich keine Lust auf eine Diskussion habe.
"Moment mat da liegen etwa 5 kg Papier eng bedruckt mit Gesetzen auf dem Tisch und Sie müssen noch mehr kennen?" Mein kleiner Freund ist verwirrt.
"Eigentlich ja!"
"Was heißt hier ,eigentlich'?"
"Naja" verlegen hole ich etwas weiter aus "dem Anwalt wird zugetraut, dass er alle Gesetze kennt, die erlassen wurden"
"Respekt!" der 2D-Kobold schaut mich bewundernd an "sie kennen also alle Gesetze?"

Jetzt hat er mich!"Ja nein" stammel ich.
"Was nun- ja oder nein?"
"Eher ..." jetz muss ich entschieden reagieren "nein!" und werfe einen kontrollierenden Seitenblick auf den Quälgeist.

Irgendwie ist ihm das jetzt zu viel. Sein Gesichtchen verzieht sich immer mehr zu einem Fragezeichen. Ich muss etwas sagen, sonst sammelt er all seine Daten und stellt mir weitere Fragen, aus denen ich mich nicht mehr herausreden kann.

"Also", fange ich mal wieder an zu dozieren "theoretisch muss der Anwalt alle Gesetze kennen, die es gibt. Praktisch geht das gar nicht." der Seitenblick verrät mir, dass Bernie mir langsam wieder folgen kann.

"Als Anwalt muss man eben nur wissen, wie man mit den Gesetzen umgehen muss, man muss sie lesen können, wichtige Urteile kennen und wenn einmal ein Gesetz nicht vorhanden ist, dann muss man wissen, wie man da rankommt."
"Das kann ich auch!" tönt es entschlossen aus Richtung Bildschirm.

Hurra! Jetzt hab ich wieder Oberwasser! "Das wollen wir doch mal sehn!" kann ich mir das Grinsen nicht verkneifen "Hier ist das RVG jetzt sagen Sie mir doch einmal, wie viel ein Mandant zahlen muss, wenn ich für ihn einen Mahnbescheid wegen einer Forderung von 950,00 € einreiche."

Ich wende mich meiner Recherche über die Altersversorgung zu und denke, "daran wird er eine Weile zu knabbern haben" und freue mich über die Ruhe, die langsam einkehrt.

Aber die sollte ich nicht lange genießen können.

"Pah!" brüllte es aus den Lautsprechern, dass es mich fast vom Stuhl riss, "ich weiß es!"
"So?" ich konnte es mir nicht verkneifen lehrerhaft über meinen Brillenrand zu sehen.
"Ja! Es sind 85,00 Euro!" triumphierend strahlte er aus dem Monitor "VV 3305 - 1,0 Gebühren" sang er.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, denn jetzt holte ich zum Schlag aus.
"Gut gemacht!" bereitete ich den Angriff vor "etwa 50 % der Wahrheit haben Sie schon herausgefunden."
"Waaaas nur die Hälfte???"
"Naja, vielleicht auch noch ein bisschen mehr", versuchte ich mich etwas halbherzig als Tröster "Aber zu dieser Mahnbescheidsgebühr kommt noch die Post- und Telekommunikationspauschale von 20 % - maximal 20,00 € - und die Mehrwertsteuer ... insgesamt also 121,38 €" ... ich überlege ein paar Augenblicke ob ich noch einen draufsetzen soll. Es ist zu verführerisch: "Wie siehts jetzt aus, wenn der Gegner Widerspruch einlegt und ich vor Gericht muss?"

"Wollen Sie mir nun Ihr überlegenes Wissen unter die Nase reiben?"
Ehrlich gesagt, ja, aber ich versuche es diplomatischer: "Na, haben Sie eingesehen, dass es doch nicht so einfach ist? Es reicht nicht nur, die einzelne Vorschrift zu finden. Man muss den Überblick behalten. Hier wird die Sache aber komplizierter, weil sich die Verfahrensgebühr erhöht, eine Terminsgebühr dazu kommt und Post- und Telekommunikationspauschale zwei mal anfällt."
"Na gut. aber wenn ich mich ein wenig da reinlesen würde, könnte ich diese Fragen auch beantworten." Trotzten die Bildschirmpixel zurück.
"Selbstverständlich! Wenn ich die Zeit hätte, mich damit zu beschäftigen, könnte ich auch einen Wolkenkratzer bauen. Da ich aber andere Sachen besser kann, lasse ich das lieber andere tun und bezahle dann die Miete."
"Alles klar! Jura ist keine Zauberei, sondern einfach nur Übung und ne Nase Vorsprung bei der Frage, wo ich mit dem Suchen anfangen muss."
"Einem solch genialen Schlusswort kann ich nichts mehr entgegensetzen" entgegene ich und fahre den Rechner runter um mich meinem wohlverdienten Feierabend zu widmen.

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Anwälte und Nachbarschaftsstreits