Fachchinesisch für Rechtsanwälte





Wieder einmal flattert mir eine Klageerwiderung der Gegenseite auf den Tisch, die ich eingescannt habe, um sie an den Mandanten weiterzuleiten.
Mitten in der Umwandlung in ein .pdf ploppt plötzlich der inzwischen hinlänglich bekannte Quälgeist hoch und äfft den gegnerischen Kollegen nach. "...ist die Klage wegen fehlender Aktivlegitimation der Klägerseite unzulässig. Die Vindikationslage scheitert daran, dass das Eigentum an der streitigen Sache an die Beklagten zusammen mit dem Besitz im Rahmen der Leistung an Erfüllung statt übertragen wurde."
  "Was wollen Sie denn schon wieder?", knurre ich den PC-Kobold an. Irgendwie habe ich auch so genug zu tun.
  "Haben Sie sich diesen hochgstochenen Mist mal durchgelesen?" fragte mein Gegenüber ungläubig.
  "Ja!" Ich versuche möglichst unbeeindruckt zu tun.
  "Das versteht doch kein normaler Mensch. Was soll das? Wenn Sie als Juristen sich nur etwas deutlicher ausdrücken könnten, wäre der ganzen Menschheit geholfen."

Ich halte kurz inne. Der ganzen Menschheit mit einer sorgfältigeren Wortwahl zu helfen, scheint mir eine verlockende Idee. Während ich versuche, eine intellektuelle Brücke zwischen meinem Satzbau und der Bekämpfung des Welthungers herzustellen, setzt mich mein binär-imaginärer Gesprächspartner wieder auf seine Spur. "Ich glaube, diese furchtbaren Sätze haben nur einen Zweck!" stellt er entschieden fest.
  "Und der wäre?" ich ahne, dass er mich gleich von der Vorstellung erlösen würde, ich könnte den Hunger auf der Welt auf so einfache Weise besiegen.
  "Die Anwälte wollen einfach nicht, dass Ihre Mandanten Sie durchschauen. Wer weiß was sie da schreiben und der ahnungslose Mandant ist Ihnen schutzlos ausgeliefert?"
Ach daher weht der Wind. Der Thesaurus und sämtliche Übersetzungsprogramme von Bernie haben bei den Worten des Kollegen versagt. Jetzt muss ich wohl wieder ran und dem kleinen Pixelfreund mal klarmachen, was das anwaltsinterne Übersetzungsprogramm so alles leisten kann.

  "Bernie!", ich senke dabei die Stimme, weil ich finde, dass das sehr versönlich klingt, "Sie haben unseren Job völlig verkannt. Ihr Anwalt ist ja gerade dazu da, diese Sätze für Sie verständlich wiederzugeben. Fragen Sie doch einfach, was das bedeuten soll?".
  "Das wollte ich sowieso tun" kam es schnippisch vom Bildschirm.

  "Gut ich erkläre es Ihnen einmal. Hier sollten Sie erst mal den Fall kennen: Also ich habe auf Herausgabe eines Schranks geklagt. Mein Mandant -nennen wir ihn Meier - hat sich einmal mit dem Beklagten - der könnte Bertram heißen - eine Wohnung geteilt. Meier ist mit ein paar Mietschulden aus der Wohnung ausgezogen und hat den Schrank stehen gelassen. Er hat dem Bertram gesagt, dass er den Schrank später abholen und seine Schulden bezahlen will. Der scheint das aber ganz anders verstanden zu haben."

  "Und woher wollen Sie das wissen?"
  "Das steht hier. Die juristische Sprache, müssen Sie sich vorstellen ist eine Art Fremdsprache. Man muss sie zunächst einmal lernen, um sie später zu verstehen. Während wir im Deutschunterricht gelernt haben, dass wir für ein und die selbe Sache möglichst viele verschiedene Ausdrücke finden können, um einen Text schön zu gestalten, ist gerade das in der Juristerei ein absolutes No-Go."
  "Dann rotiert Ihr Deutschlehrer also heute im Grab, wenn er Ihre Schriftsätze liest?"
  "Ich fürchte, ja." muss ich eingestehen. "Bei den Juristen gibt es nämlich viele Worte, die eine ganz bestimmte Bedeutung haben und die deshalb nicht einfach ausgetauscht werden dürfen. Das gibt schon mal fünf mal das selbe Wort in einem Satz." griene ich.
  "Das verstehe ich nicht. Wieso dürfen die nicht ausgetauscht werden?" Bernie ist überhaupt nicht zum witzeln aufgelegt.
   "Nehmen wir mal die Begriffe Eigentum und Besitz." versuche ich es langsam.
  "So, so, das soll also nicht das Gleiche sein?" schaut er mich traurig an. Ich weiß nicht so richtig, ob er das ernst meint. Trotzdem erkläre ich weiter:
  "Nein, absolut nicht. Eigentümer ist der, dem eine Sache gehört. Der Besitzer ist der, der die Sache benutzen kann. Also am Anfang unserer Klagegeschichte war Meier Eigentümer und Besitzer des Schrankes. Er hat den Schrank bei Bertram stehen lassen und der wurde damit Besitzer, während Meier immernoch davon ausging, Eigentümer zu sein. Deshalb will er den Schrank ja wieder haben."
  "War es denn ein schöner Schrank?" entwickelt mein wissenshungriges elektronisches Gewissen langsam Mitgefühl.
  "Sicher! Ein Erbstück von Meiers Oma." malte ich den Fall ein wenig plakativer aus. "Du siehst nun haben wir ein Problem. Meier ist Eigentümer und Bertram ist Besitzer. Das kann so ganz in Ordnung sein, wenn Meier dem Bertram den Schrank zum Beispiel geliehen hat. Dann gibt es einen Vertrag darüber und der Besitzer darf Besitzer bleiben, solange der Vertrag besteht. Irgendwann endet der Vertrag aber. Das läuft also früher oder später irgendwie immer wieder darauf hinaus, dass der Eigentümer auch wieder Besitzer werden will."
  "Und Meier will also wieder Besitzer werden?!"
  "Richtig! Und diese Situation: Eigentümer ist nicht Besitzer und der Besitzer ist nicht berechtigt den Besitz zu behalten - weil er zum Besipiel einen gültigen Vertrag darüber hat - diese Situation kann man umständlich erklären oder ihr einen Namen geben."
  "Was wollen Sie mir damit sagen?" schaut mich Bernie etwas hilflos an.
  "Ganz einfach alles, was man umständlich umschreiben will kann auch einen Namen haben. Wir können sagen: großes hakenfömiges fleischfarbenes Ding in der Mitte des Gesichtes durch das man meistens Luft holen kann, außer man hat einen Schnupfen oder wir nennen es einfach NASE."
  "Und wie heißt das wenn der Eigentümer nicht der Besitzer ist, aber gern wieder Besitzer wäre?"
  "VINDIKATIONSLAGE" und weiter führe ich aus "das haben sich schon die alten Römer ausgedacht, deshalb ist der Name so lateinisch angehaucht. Wenn der Kollege also meint, dass die Vindikationslage scheitert, findet er, dass etwas an diesem Eigentümer-Besitzerverhältnis nicht stimmt. Er sagt uns auch, was er dabei meint. Er sagt nämlich, dass das Eigentum an dem Schrank an Erfüllungs statt von Meier auf Bertram übertagen wurde."

  "Was denn für eine Erfüllung?"
  "Ja das ist hier die Frage, aber ich habe ja schon gesagt, dass Meier Mietschulden bei Bertram hatte. Da hat der Bertram den Meier wohl so verstanden, dass er die Mietschulden mit dem Schrank bezahlen wollte und Bertram war einverstanden. Sowas kann man machen."
  "Damit erklärt sich ja auch, warum Bertram den Schrank nicht gleich zurück gegeben hat" wird Bernie wieder munterer. "Der meint also, dass er jetzt Eigentümer des Schrankes ist."
Ich komme nicht umhin Bernie zu loben. Er hat den Fall geknackt. "Ja so ist es. Und wenn Meier nicht mehr Eigentümer ist, dann darf er ja auch nicht die Herausgabe verlangen. Wenn jemand also klagt ohne selbst berechtigt zu sein, sagt man, ihm fehlt die Aktivlegitimation."
Bernie schließt jetzt messerschaft: "Dann dürfen Sie ja gar nicht mehr klagen und müssen die Klage zurück nehmen"
  "Halt, halt! Naturgemäß sieht die Gegenseite die Sache immer ein bisschen anders. Was damals wirklich besprochen wurde, wissen wir nicht so richtig, das muss vor Gericht geklärt werden. Deshalb werde ich dem Meier jetzt mitteilen, dass Bertram dachte, der Schrank soll zu Bezahlung der Mietschulden dienen. Ich werde mal nachfragen, was damals wirklich vereinbart wurde und ob es dafür vielleicht sogar Zeugen gibt. Die Antwort werde ich dann dem Gericht mitteilen."
  "Hi hi und mit dem fachchinesisch wird dann die Gegenseite in die Verzweiflung getrieben" feixt Bernie.
  "Naja, ich kann ja auch versuchen, die Sache allgemeinverständlich zu formulieren. Zu viel Fachchinesisch ist bestimmt keine Rettung für die Menschheit" muss ich dabei einsehen.

Wer ist Bernie?
Anwälte und Nachbarschaftsstreits