Der juristische Konjunktiv





Es war noch früh am morgen, da meldete sich mein zweidimensionaler Kobold bei mir. "Ich hab gerade ihre Mails gelesen und hab da mal 'ne Frage?"

  "So so, sie lesen also meine mails" stellte ich fest "Schon mal was von Datenschutz gehört?" brummelte ich weiter.
Den Kanzleikobold ließ das völlig kalt: "Wer sich ein Alter-Ego zulegt, sollte sich nicht so pingelig haben, wenn er seine mails zweimal lesen muss. Kommen wir bitte zum Thema?"
  "Ich bin ganz Ohr!"
  "Also hier beschwert sich ein User, dass er Anwaltsgebühren zahlen musste, obwohl der Anwalt ihm nicht sagen konnte, ob er den Prozess nun gewinnt oder verliert. Das ist doch wohl ein lausiger Anwalt, oder?"
  "Das finde ich nicht."
  "Hey, das ist doch ihr Job, zu wissen, ob man einen Prozess gewinnt oder verliert! Statt dessen wird herumgedruckst ... müsste, könnte, hätte ... keine klaren Aussagen! "
  "Tja, mein Lieber, manchmal lässt sich die Antwort auf eine Frage nicht so ohne weiteres finden. Hier kann man eben nur sagen, wie es sein müsste!"
  "Wofür gibt es denn die Gesetze? Doch sicher dafür, dass man sie anwendet, Das ist doch auch nichts anderes als ein Computerprogramm: Infos rein, Ergebnis raus!"
  "Wenns doch mal so einfach wäre" seufze ich.

  "Ach, noch so ein lausiger Anwalt" wird der Datenhaufen jetzt frech. Da muss ich jetzt aber mal anfangen ein paar Dinge gerade zu rücken und ich beginne zu dozieren:
  "Das Recht besteht aus einer Anzahl von Normen, die das gesellschaftliche Zusammenleben regeln sollen ..."

  "Typisch Anwalt, wenn denen nichts einfällt, fangen sie in ihrem Fachchinesisch an" maulte es aus dem Rechner.
Jetzt musste ich mir etwas einfallen lassen:   "OK, stellen Sie sich das Recht bitte vor, wie ein Comupterprogramm." versuche ich, verständlich zu werden.
  "Ja, damit kenne ich mich aus" entgegnete Bernie langsam neugierig werdend.
  "Unser 'Richterprogramm' wertet die eingegebenen Daten aus und findet dann ein Ergebnis, also das Urteil. Dummerweise hat dieses Programm zwei kleine Fehler: Zuerst stehen nur eine begrenzte Anzahl an Auswertungsprozeduren, also Gesetzen zur Verfügung. Die Anzahl der möglichen Probleme ist wesentlich größer.
Wenn jetzt also jemand kommt und möchte eine Sache beurteilt haben, die in keiner Auswertungsprozedur erfasst ist, also in keinem Gesetz geschrieben steht, dann steht das Richter-Programm vor einem Problem. Ihre Rechner-Kollegen behelfen sich mit Abstürzen, schweren Ausnahmefehlern und anderen netten Sachen, aber ein Richter muss sich jetzt entscheiden."
  "Ja, Akte zu und aussitzen!"

  Erstaunt über die Schlagfertigkeit meines in rechtlichen Dingen doch so unerfahrenen Begleiters fahre ich fort: "Nein, entweder er sagt, was nicht im Gesetz steht, kann auch nicht zugesprochen werden oder er findet eine ähnliche Auswertungsprozedur und sagt, das ist doch fast das Selbe, also machen wir es so, wie wir es in solch einem Fall gemacht hätten. Das nennt man dan Analogie!"
  "Äh? Mit analogen Dingen hab ich so meine Probleme!" wurde mein Kritiker unsicher.

  "Gut, ein Beispiel: A kommt ..."
  "Wieso heißen die bei ihnen immer 'A'?" regt sich der Kobold auf.
  "Wir wollen ja keine Namen nennen, aber wenns hilft ... Oma Frieda hat in einem Teppichladen nach einer neuen Auslegware gesucht. Wie Sie da so rumsteht, fällt eine Linoleumrolle um und trifft die Oma. Sie verklagt den Teppichhändler auf Schadensersatz. Die Richter haben jetzt die ganzen Gesetze durchsucht und keine Vorschrift gefunden, die der Oma Schadensersatz vom Teppichhändler zugesprochen hätte. Eigentlich hätte die Klage abgewiesen werden müssen."

  "Ja ist doch logisch!"
  "Ja, bis hierhin bleibts digital! Dummerweise ist Logik nur ein Teil des Rechts, denn die Oma bleibt auf Ihrem Schaden sitzen."
  "Mhmmm! Da müsste sich doch was machen lassen ... Was haben die Richter denn gemacht?"
  "Ha, erwischt! Sie gebrauchen gerade den Konjunktiv!" ertappte ich ihn "Die Richter haben festgestellt, dass die Oma ja in den Laden gegangen ist, um etwas zu kaufen. Hätte Sie schon etwas gekauft gehabt, hätte ihr ein Schadensersatzanspruch zugestanden. Da haben sich die Richter gesagt ..."
  "Das ist gehupft wie gesprungen, alles eh das Gleiche, also gebt der Oma Ihr Geld" triumphierte das digitale Genie."Und das ist analog?"
  "Ja, so in etwa! Hier gibts kein NULL oder EINS, die Lösung liegt irgendwo dazwischen", musste ich schmunzeln.
  "Aber wer macht den sowas, sich eine Linoleumrolle auf den Kopf fallen zu lassen?"
  "Den Fall gabs wirklich!" entgegnete ich belehrend "Der ist sogar richtig berühmt geworden als 'Linoleumrollenfall'. Allerdings spielte der schon 1911! Seit 2002 gibt es übrigens auch eine entsprechende Regel dafür im Gesetz."

  "Ja aber was ist mit den Fällen, wo doch eigentlich alles im Gesetz drinsteht?" wird der Kanzleikobold spitzfindig.
  "Die können auch zum Problem werden. Nehmen wir mal an, es gibt im Gesetz eine Regel: Wenn Draußen=Dunkel und Fahrzeug=ohne Licht und deswegen=Unfall, dann mindestens Mitschuld und keinen vollen Schadensersatz für den Unbeleuchteten."
  "Ha, das ist doch mal verständlich!" griente das digitale Wunderwerk.

  "Dachte ich mir, dass sie das verstehen" spöttelte ich, und fuhr fort "Nun ist es 19.00 Uhr F - ich meine Fridolin - fährt ohne Licht und kracht deswegen mit einem anderen Fahrzeug zusammen. Der Gegner meint, alles sei nur passiert, weil Fridolin kein Licht angehabt hat."
  "Tja, wer ohne Licht fährt und einen Unfall baut ist mindestens mitschuldig" kam es altklug vom Bildschirm.
  "Aber, unser Programm sagt nur wenn alle Voraussetzungen vorliegen, ist der Unbeleuchtete mitschuldig und muss einen Teil des Schadens selbst bezahlen- wenn nicht, gibts die ganze Kohle; ist klar was ich meine?" helfe ich etwas nach.

  "Ja aber woher soll ich den wissen, ob es dunkel war? Wann ist es denn passiert?"
  "Gute Frage! So Ende September - da geht die Sonne kurz vor 7 Uhr unter." helfe ich weiter.
  "Ähm, na so richtig dunkel wars wohl noch nicht, aber andererseits ...da müsste ..." kam der Kobold ins Grübeln.

Ich hatte ihn da, wo ich ihn hinhaben wollte. "Sehen sie? Da war er schon wieder, der Konjunktiv! Jetzt kommt das zweite Problem ins Spiel: Das Recht muss durch Menschen ausgewertet werden. Jetzt gibt es den Richter Adlerauge, der findet, dass man kurz nach Sonnenuntergang noch ganz gut ohne Licht fahren kann. Dieser Richter wird dem unbeleuchteten Fridolin keine Mitschuld geben. Richter Maulwurf, wird hingegen meinen, dass man unbedingt schon mit Licht hätte fahren müssen und Richter Schlaufuchs wird sich bei wetter.com einloggen und nachsehen, wie das Wetter an diesem Tage war ... kurz und gut drei Richter drei verschiedene Lösungen ... und das sollen wir voraussehen?"

Mein digitaler Kollege seufzte auf. "Und ich habe immer geglaubt ... aber wozu seid Ihr denn noch nütze" richtet er seine Verzweiflung gegen mich.
  "Naja, wir müssen versuchen, den Richter in die richtige Richtung zu schieben. In unserem Fall haben wir uns schon vorher bei wetter.com eingeloggt und herausgefunden, dass an diesem Abend strahlend blauer Himmel war und die Sonne 18.59 Uhr untergegangen ist, es also noch ganz schön hell war."
  "So, ne Art hellseherisches Medium für das, was sein könnte!"
  "Wenn sie so wollen!"
  "Ich hab schon überlegt, ob ich auf einen anderen Rechner umziehe, aber ich glaube sie können nichts dafür. Wenn das Gesetz digital ist und das Leben analog, dann kommt man ohne den Konjunktiv eben nicht aus." wurde er versöhnlich und jeder ging seinem Tagwerk nach.

mehr Bernie
Bernie und viele Gesetze
Anwälte und Nachbarschaftsstreits