Streitwertberechnung im Zivilprozess
Die Streitwertberechnung im Zivilprozess erfolgt aus mehreren Gründen und nach mehreren Rechtsvorschriften. Bildlich gesprochen ist die Streitwertberechnung ein Haus mit
mehreren Türen und mehreren Räumen. Die Räume sind teilweise miteinander verbunden. Wer schon im ersten Raum fündig wird, muss nicht mehr durch die anderen Räume geistern und
weitersuchen, doch für manche Probleme wird man nicht direkt hinter der ersten Tür fündig und muss sich schon durch die weiteren Räume schlagen.
Doch wie sieht das in der Praxis aus? Wir hangeln uns einfach mal an einer mietrechtlichen Streitigkeit entlang. Nehmen wir an, ein Mieter stimmt einer Mieterhöhung nicht zu und es kommt zu einem Klageverfahren.
Die ZPO
Eine erste Einfallstür ist die ZPO. Die hier geregelten Streitwerte sind meist recht übersichtlich gehalten. Durch diese Tür betritt das Gericht die Bühne der
Streitwertberechnung. Es muss den Streitwert für die Zuständigkeiten oder den Wert der Beschwer bei Rechtsmitteln ermitteln. Da für Wohnraummietsachen stets das Amtsgericht
zuständig ist, fragt sich die erste Instanz nicht nach dem Zuständigkeitsstreitwert. Spätestens aber, wenn die unterliegende Partei ein Rechtsmittel - hier wohl die Berufung-
anstrengt, wird es auf den Streitwert ankommen. Das Gericht sucht hier also zunächst in der ZPO und findet §§ 8 und 9 ZPO. § 8 ZPO soll nur für Fälle gelten, in denen es um
das "Ob?" oder "Bis wann?" geht. Richtigerweise bestimmt sich der Wert der Beschwer hier nach § 9 ZPO nach dem dreieinhalbfachen Jahreswert der Mieterhöhung. Die weitere Suche
in anderen Gesetzen ist nicht mehr nötig.
Das GKG
Eine weitere Tür eröffnet das GKG. Diese Tür wird auch durch das Gericht und zwar für die Berechnung der Gerichtskosten oder Gerichtskostenvorschüsse geöffnet. In diesem Raum
werden die Richter zuerst § 41 Abs. 5 GKG finden. Hier gilt nur der Jahresbetrag der Mieterhöhung. Auch hier besteht nicht das Bedürfnis weiter zu suchen. Der Streitwert liegt damit deutlich unter dem Wert der Beschwer für die Berufung.
Das RVG
Auch die Rechtsanwälte haben ihre eigene Tür für den Eintritt in die Streitwertberechnung zum Zweck der Gebührenermittlung. Diese ist das RVG. Gleich am Eingang wird der Rechtsanwalt neben einigen wenigen Streitwertvorschriften aber mit dem Wegweiser
des § 23 RVG empfangen. Dieser fragt zunächst ab, ob der Rechtsanwalt sich in der Sache gerichtlich streiten will oder kann oder ob es schlicht unmöglich ist, die
Angelegenheit vor Gericht zu bringen, wie z.B. bei einer Vertragsgestaltung. In letzterem Fall wird der Rechtsanwalt gleich in den Raum des Gerichts- und Notarkostengesetzes
(GNotKG) weitergeleitet, wo er zusammen mit den Notaren nach brauchbaren Streitwertvorschriften suchen kann.
Bei klagefähigen Angelegenheiten wird der Rechtsanwalt in einen anderen Raum - und zwar den, mit den Streitwertfestsetzungen für das Gerichtsverfahren, also das GKG oder
das FamGKG weiter gleitet. Über § 48 Abs. 1 GKG kann die Suche auch noch in den Vorschriften der ZPO weiter gehen.
In unserem Fall wird der Rechtsanwalt auch auf das GKG verwiesen und findet hier § 41 Abs. 5 GKG; den Jahreswert der Mieterhöhung. Diesen Streitwert kann er nun seiner
Gebührenrechnung zugrunde liegen.
Der entnervt suchende Rechtsanwalt erhält jedoch auch noch einen dritten Tipp. Wenn er nämlich gar nicht fündig wird, darf er einfach von 5.000,00 Euro ("nach Lage des Falles niedriger oder höher") ausgehen. Dieser Notnagel setzt aber voraus, dass er in den anderen Räumen erfolglos gesucht hat und sich auch keine Schätzung des Vermögensinteresses vornehmen lässt.